Kapitulation vor dem Mindset

Meine Lieblingskapitulationserklärung bei Veränderung ist die vor dem Mindset. Sie kommt in vielen Facetten, meist in einer der folgenden Formen, wenn wir agilen Prediger vor Problemen stehen und uns in dem Moment klar sein sollte, dass wir eigentlich etwas anders machen müssten.

“Das ist eine Mindsetfrage”

“Die haben noch nicht das richtige Mindset”

“Die müssen wir da richtig mitnehmen, damit sie das Mindset bekommen”

“Dafür brauchen die Leute aber das richtige Mindset”

Was ist es denn eigentlich, dieses Mindset? Das Oxford Dictionary sagt: “the established set of attitudes held by someone.” Also die Summe aller Einstellungen (und Gesinnungen, kurz seine Haltung), die ein Mensch hat. Dabei ist der Begriff ganz schön schwammig und ungenau – das sollte uns doch schon sehr vorsichtig stimmen. Dass das Mindset an irgendetwas schuld sei, ist also genau so präzise wie “das Wetter ist schuld.”

Naja, soweit so nachvollziehbar also: Hat jemand eine bestimmte Einstellung nicht, dann verhält er sich auch nicht so, wie vielleicht von ihm erwartet wird. Ein Mensch wird somit beispielsweise in einer Organisation niemals Verantwortung übernehmen, wenn er die Haltung dazu nicht hat.

Dann muss man also die Einstellung ändern, damit es klappt. Einleuchtend. Nur wie ändere ich diese Einstellung? Na klar. Wir reden und verändern den Menschen. Wir müssen nur oft genug erklären, was wir wollen, warum Dinge wichtig sind, was sich am Menschen ändern soll, damit es geht – warum “du dich eben ändern musst”. Dann werden die Menschen schon folgen. Und wenn es nicht geht, dann nehmen wir sie so richtig gut mit und wer dann immer noch nicht tut, was wir wollen, ist halt “changeresistent.” Man kann doch durch stetiges Wiederholen die Einstellung eines Menschen ändern und dann wird das schon alles. Mit den Erwartungen und so.

Einem erwachsenen Menschen, der noch nie in seinem Leben geschwommen ist, wird man doch wohl logisch erklären können, dass das Schwimmbecken gar nicht so sehr tief ist, es hier im Schwimmbad weder Wellen noch Haie gibt und überhaupt ja auch ein Rettungsring neben dem Becken hängt, den er schon zugeworfen bekommt, wenn es wirklich eng werden sollte. Wir erklären in der Theorie noch ein paar einfache Schwimmbewegungen und stehen aufmunternd am Beckenrand und warten auf den Sprung. Es sollte doch möglich sein, diesen Menschen dazu zu bekommen, dass er schwimmt. Spielt doch keine Rolle, dass er bis hierher in seinem Leben auch ohne die Bewegung im kühlen Nass gekommen ist. Oder etwa nicht?

Ähnliche Erklärungsversuche entstehen oft, wenn in Organisationen “Menschen mitgenommen werden” sollen, wenn mal wieder eine Veränderung ansteht. Naja. Und klappt es nicht, dann haben die Menschen eben “nicht das richtige Mindset”. Da ist sie, die Kapitulation.

Wenn Veränderung also nicht funktioniert und “das Mindset sich nicht formt” – woran liegt das dann? Ketzerische Frage: Tun wir dann die richtigen Dinge? Sind wir glaubwürdig? Machen wir etwas, das für die Menschen passt? Stimmt der Rahmen für die Menschen? Für mich ist die Sache mit dem Mindset wie die Sache mit der Kultur. Wir können das Mindset nur verändern, wenn wir über Vorleben, über Erkenntnisse, Kommunikation auf Augenhöhe und dem Schaffen von Erfahrungen einen Rahmen schaffen, der ein Ändern erlaubt. Ein Mindset hört selten auf gutes Zureden sondern orientiert sich am Erlebten, was unsere Glaubenssätze geprägt hat. Da “ranzukommen” braucht schon mehr Geschick als schnieke Roadshows zur neuen agilen Strategie und ein Pressen in vordefinierte Strukturen.

Wir müssen also mit ins Wasser. Nebenher schwimmen. Vielleicht auch erstmal nur einen Fuß reinstecken lassen. Vielleicht schwimmen wir mit Rettungsring im Arm nebenher oder wir legen ihn direkt der Person an. Vielleicht sind auch Schwimmflügel passender. Oder wir müssen etwas Wasser aus dem Becken ablassen, um Vertrauen aufzubauen. Wir schaffen also über Erfahrung die Möglichkeit, dass sich seine Einstellung zum Schwimmen ändert.

Voraussetzung dafür ist ein Denken in Experimenten: Ideen und Meinungen ausprobieren, das passende für die Menschen finden und über Erfolge überzeugen. Ein Beispiel ist der Wunsch nach einer offenen Feedbackkultur in Organisationen: In einem Unternehmen kann ich noch so sehr versuchen, Menschen für offenes Feedback zu begeistern und werde trotzdem scheitern, wenn ich es nicht schaffe, einen Rahmen zu gestalten, in dem Menschen lernen, mit Feedback umzugehen und es “zu leben”. Durch das reine Predigen von “wir erlauben jetzt Fehler und lernen alle daraus” verändert sich keine Einstellung dazu.

Ich muss das Ziel beschreiben und den Sinn vermitteln. Wenn ich es dann schaffe, über einen passenden(!) Rahmen, den ich vorschlage, Erfahrung zu ermöglichen (für das konkrete Beispiel vielleicht neben der reinen Schulung zu wertschätzendem Feedback auch Formate wie Speed-Datings, Retrospektiven oder nette Tools wie Kudo-Karten), erzeuge ich über das Erleben Erkenntnisse und darüber – ganz vielleicht – eine Veränderung des Mindsets. Wichtig ist hier auch, dass dies zeitlich schwer planbar ist und ich meine Strategie auf dem Weg vielleicht auch anpassen muss. “Im ersten Quartal machen wir das mit der Feedbackkultur” klappt somit auch nicht. Wir arbeiten mit Menschen – da ist eine zeitliche Aussage wirklich nicht seriös zu treffen.

Wir können meiner Meinung nach also nie das Mindset direkt beeinflussen. Wir können Erkenntnisse schaffen und über das Erleben auf das Mindset wirken. Wie wir das tun, muss auf die jeweilige Situation mit den Menschen, mit denen wir arbeiten, angepasst werden. Dann klappt es auch mit dem Mindset.

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