Jetzt hör endlich mal zu!

Die wichtigste Voraussetzung für den Aufbau von wirkungsvollen Beziehungen und somit eine Grundlage für Führung ist: Zuhören. Richtiges Zuhören. Zu oft hören wir zu, um eine Antwort zu geben. Nicht, um zu verstehen. In diesem Artikel beschreibe ich zwei für mich hilfreiche Modelle, die es ermöglichen, Zuhören zu analysieren und zu üben und habe im Anschluss noch ein paar Tipps parat für besseres Zuhören.

Die beiden Modelle sind “Die drei Ebenen des Zuhörens” aus dem Co-Active Coaching und “Die vier Ebenen des Zuhörens” aus der Theory U von Otto Scharmer.

Die drei Ebenen des Zuhörens im Co-Active Coaching

Henry und Karen Kimsey-House beschreiben in ihrem Buch Co-Active Coaching drei Ebenen des Zuhörens. Wir können in allen drei agieren, alle haben ihre Berechtigung, aber nur zwei liefern “das Futter” für Transformation.

Ebene 1 – Das innere Zuhören: Alles dreht sich um die eigene Agenda. Gesagtes wird mit den eigenen Bildern und Erfahrungen in Relation gestellt. Immer mit der Frage: “was hat das Gesagte mit mir zu tun?” Woran erkenne ich, dass ich in Ebene eins höre? Jeder kennt diese Ebene. Bei einem Vortrag schweifen die Gedanken ab und basteln auf Basis des Gehörten und den eigenen Ideen neue Gedankenwelten zusammen. Wir schweifen ab und merken irgendwann, dass wir nichts mehr mitbekommen haben. In Gesprächen hören wir zu und erzählen danach von unseren eigenen Erfahrungen.

Ist das schlimm? Nein, nicht grundsätzlich. Für das Anstoßen von Transformationsprozessen hilft diese Ebene aber nicht weiter – sie ist letztlich vergangenheitsorientiert, wertend und gibt wenig Raum für Neues.

Ebene 2 – Das fokussierte Zuhören: Hier spielt die eigene innere Agenda keine Rolle mehr. Der Fokus ist vollständig bei unserem Gegenüber. Wir begegnen ihm mit Neugier, gehen in einen Tanz und schaffen durch Spiegeln oder Fragen Impulse für Veränderung. Diese Ebene ist ein vollkommenes Einlassen auf das, was dein Gegenüber mitteilt. Wir bemerken Ebene zwei dadurch, dass unsere Gedanken nicht abschweifen. Vielleicht bemerken wir anfangs sogar eher, dass wir gerade Ebene zwei verlassen haben und uns nämlich gerade Gedanken eingeholt haben.

Ebene 3 – Globales Zuhören: Aufbauend auf Ebene zwei wird die Aufmerksamkeit auf weitere Aspekte gelegt. Die Gestik und Mimik deines Gegenübers und auch auf die Energie im Raum. Wie verändert sich Sprache in Tonfall, Lautstärke oder Geschwindigkeit? Auf Ebene drei muss ich mich einlassen. Versuche doch einmal, auf die Atmung deines Gegenübers zu achten in einer Unterhaltung. Ist sich schnell, langsam? Wie verändert sich die Körperhaltung im Gespräch? Wie reagiert dein Gegenüber darauf, wenn du dies benennst (bspw. “du lässt plötzlich deine Schultern hängen. Was ist gerade passiert?”). In Ebene entsteht Co-Kreation. Aus der Situation und dem Ganzen entstehen Erkenntnisse und nachhaltige Veränderung.

Effektives Coaching und effektive Impulse zur Transformation in Führung finden somit auf Level zwei und drei statt. Neugier, Hinterfragen, die magische Frage “was noch” und das Spiegeln von Gestik und Mimik sind kraftvolle Werkzeuge, Transformation zu bewirken und Neues entstehen zu lassen.

Die vier Ebenen des Zuhörens in der Theory U

Den drei Ebenen des Zuhörens im Co-Active Coaching möchte ich hier gerne noch ein weiteres Modell zur Seite stellen, das ich auch sehr hilfreich finde. Otto Scharmer beschreibt in der Theory U vier Ebenen des Zuhörens. Ähnlich den drei Ebenen im Co-Active Coaching steigt der Grad an möglicher Veränderung und Impulsen für Co-Kreation über die Ebenen hinweg an.

Downloading: Wir hören das, was wir schon wissen. Entsprechend der Konventionen unser Sozialisierung und Erfahrungen und auf Basis der Erwartungen, die wir haben. Wir sind beschränkt in der Wahrnehmung und bedienen Gespräche mit Floskeln. Wer kennt die Situationen nicht: In Meetings redet jeder mit seiner Agenda und erwartet von allen anderen auch nicht, dass tatsächlich eine Änderung eintritt. Die Folge: Die “Wahrheit” wird bei der Kaffeemaschine besprochen, die wichtigen Gespräche sind gelähmt durch unsere beschränkte Wahrnehmung. Wir bestätigen nur unsere Meinung.

Faktisches Zuhören: Hier entsteht eine Debatte. Wir schauen auf Unterschiede und benennen diese auch. Es wird also “unangenehm” in dem Sinne, dass wir an den Grenzen unserer Wahrnehmung mit Sichtweisen konfrontiert sind, die wir hier zumindest wahrnehmen und honorieren. Hier geht es also nicht um die Bestätigung der eigenen Wahrnehmung, sondern um den Abgleich von “was habe ich erwartet” und “was ist tatsächlich passiert.”

Empathisches Zuhören: Hier hören wir nicht nur mit dem Kopf. Wir nutzen Gefühle als Wahrnehmungssensoren und Antennen, um unsere Wahrnehmung zu erweitern. Wir wollen in das Erleben und die Wahrnehmung unseres Gegenübers eintauchen und uns einfühlen. Hier passieren nun neue Dinge aus der Situation heraus. Die eigene Agenda wird unwichtig. Es beginnt Innovation.

Schöpferisch offene Gegenwärtigkeit: In dieser Ebene hören wir, das noch nicht da ist. Wir erkennen das Potenzial in der Situation und und können es heben. Wir erschaffen gemeinsam Neues durch das gleichzeitige hören auf alles um uns herum sowie auf uns selbst. Scharmer bringt in seinem Buch den Vergleich zu einer Jazz-Combo, in der alle gemeinsam im Moment und im Blick auf das, was entsteht, co-kreativ neues erschaffen.

Tipps zu besserem Zuhören

Zuhören ist also gar nicht so einfach. Wo können wir nun also starten, es zu verbessern? Alle hier genannten Ebenen beziehen sich auf das Co-Active-Modell.

Tipp 1: Die Bestandsaufnahme

Stelle dir nach einem Gespräch folgende Fragen, um zu sehen, in welcher Ebene du zugehört hast.

  • Was war gerade im Raum?
  • Welche Energie lag vor?
  • Welche Stimmung habe ich wahrgenommen?
  • Wie hat sich die Körperhaltung meines Gegenübers verändert?
  • Wie sehr habe ich über meine Agenda nachgedacht im letzten Gespräch?
  • Was ist mir außer der Worte noch aufgefallen?
  • Wie war mein Gefühl von Zeit?
  • Was hat sich verändert im Gespräch?

Tipp 2: Raus aus Ebene 1

Wer meditiert, kennt das: Plötzlich kommen Gedanken, die unsere Stille füllen und wir versuchen, diese vorbeiziehen zu lassen und uns nicht in ihnen zu verlieren. In Gesprächen brauchen wir dies auch: Wir müssen erkennen, dass wir gerade nicht bei unserem Gegenüber sind und brauchen einen Weg, wieder zurückzukehren in unsere Aufmerksamkeit.

Eine schöne Möglichkeit ist, eine neugierige oder herausfordernde Frage zu stellen, wenn uns dies passiert. Und Gelegenheiten gibt es so viele: “Was genau meinst du mit….” ist eine schöne Variante, die hier weiterhelfen kann. Wir kehren damit wieder in die Neugier und den Fokus auf unser Gegenüber zurück.

Tipp 3: Halte Stille aus

Wer kennt das nicht: Wir führen eine Unterhaltung, stellen eine Frage und es passiert nichts. Wir bekommen Schweigen. Also tun wir reflexartig folgendes: Wir schieben Sätze nach wie “ich frage deshalb, weil…” oder formulieren unsere Frage um und schieben sie nochmal hinterher. Dies ist nicht hilfreich. Halte die Stille aus und klopf die innerlich auf die Schulter für die gute Frage, die du gestellt hast. Denn dein Gegenüber scheint gerade angestrengt nachzudenken. Es wird eine Antwort kommen. Bleib bei deinem Gegenüber. Nutze die Zeit und beobachte ihn: Haltung, Gestik, Mimik. Was passiert da?

Tipp 4: Werte nicht

Versuche, die Äußerungen deines Gegenübers nicht zu werten. Wenn du ein “aber” entdeckst, bist einer Wertung schon ziemlich gut auf der Spur. Erkunde neugierig, was sich in der Welt deines Gegenübers befindet.

Tipp 5: WAIT – der Alleskönner

Das Acronym WAIT kann dir in jeder Situation zu besserem Zuhören verhelfen:

W – Why
A – AM
I
T – TALKING

Was fällt euch zu gutem Zuhören ein? Freue mich über eure Kommentare oder Mails.

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